Mittwoch, 29. März 2023

Da vorne sind noch ganz viele Plätze

Da vorne sind noch ganz viele Plätze, sagt der junge Mann in der U-Bahn zu seiner Begleiterin, geht mit freudigem Gesicht voran, kehrt kurz darauf zurück. Da vorne, wo noch ganz viele Plätze frei sind, sitzt ein Mensch, der stinkt, ich sehe von meinem Platz aus die leere Sitzreihe gegenüber von ihm und nicht den Menschen selbst, ich rieche ihn nur. Die Sitzreihe bleibt die ganze Fahrt über leer. Die Leute stehen lieber, zusammengedrängt, auf Abstand. Ein paar setzen ihre Masken auf. Der junge Mann und seine Begleiterin reden über das Abendessen. Wir müssen etwas kochen, das ich morgen mit auf Arbeit nehmen kann, sagt der Mann, die Frau macht mehrere Vorschläge, etwas an der Art, wie sie miteinander umgehen, lässt mich vermuten, dass sie einander noch nicht so lange oder gut kennen, sie sind höflich, dabei entschieden enthusiastisch. Käsespätzle!, wiederholt der Mann einen ihrer Vorschläge, er schreit es durch den Wagen, als gäbs das jetzt gleich für alle. Seine Augen leuchten, sie grinst ein wenig verlegen. Als ich aussteige, stehen Sicherheitsleute von der BVG auf dem Bahnsteig. Jemand muss ihnen Bescheid gesagt haben. Wer? He Sie, kommen Sie mal raus, rufen sie in Richtung des Menschen, der stinkt. Sie sind zu viert oder fünft, immer in der Überzahl, immer mit dieser gleich für Ordnung sorgen wollenden Haltung, die mich ankotzt.

Montag, 27. März 2023

Muss das sein

Muss das sein. Mir geht diese Frage nicht aus dem Kopf, mit der ein Moderator neulich im Deutschlandfunk ein Gespräch eröffnet hat, ich weiß nicht mal mehr, mit wem, einem der sogenannten Streikführer, Verdi-Chef Bsirske, will mein Hirn auto-vervollständigen, aber Bsirske ist nicht mehr Verdi-Chef, der aktuelle heißt Werneke. Verdi-Chef Werneke, auch schön. Muss das sein. Bsirske mit Nachnamen heißen. Eine Frage so auszusprechen, dass sie eigentlich schon eine Beschwerde ist. Das muss doch eigentlich wirklich nicht sein. Oder? Mal nach Gelegenheiten suchen, diese Frage anzubringen. An der Kasse. Kassenbon mitnehmen? Muss das sein. Bei Freund*innen. Ein Bier trinken gehen? Muss das sein. Bei der Ticketkontrolle. Und einmal die Bahncard bitte. Muss das sein. Dann seufzen. Na gut, muss wohl.

Samstag, 25. März 2023

Are they real

Are they real?, fragt eine Frau ihren Begleiter, sie deutet auf die großen Vögel, die sehr weit oben in den Bäumen nisten, of course, sagt der Mann, everything here is real. Es stimmt, es gibt hier im Zoo keine auf Tierimitation programmierten Maschinen, keine kostümierten Menschen, die, für die Öffnungszeiten in Gehege eingesperrt, so tun als ob, es gibt zwischen Elefantenhaus und Pinguinbecken keine virtuellen Realitäten, die sich vor den Augen der Besucher*innen entfalten, alles hier ist echt. Leider, denke ich für einen Moment. Was die Frau eigentlich fragen wollte, denke ich mir auch dazu, ob diese nistenden Vögel in Deutschland heimisch sind oder ob sie zum Zoo gehören. Dass der Mann jedoch ohne zu zögern auf die Frage so geantwortet hat, als wäre sie eins zu eins zu verstehen, finde ich fast noch toller als die Frage selbst. Everything here ist real. Was wäre denn dein Idealgehalt, höre ich auf dem Heimweg einen Typ einen anderen Typen fragen, sechstausend, sagt der. Real.


Freitag, 24. März 2023

44 Dinge, die leider enttäuschend sind

Die Überschrift finde ich super, die Liste zu lesen habe ich aber nach den ersten paar Punkten schon keine Lust mehr. In diesem Sinne gehört der Artikel selbst wohl mit auf meine Liste der enttäuschenden Dinge, neben "Das Essen im Urban-Krankenhaus" und "Fusselrasierer". Schon wieder ein Tag rum. Dass mir etwas im Privaten, zu dem ich mich aus freien Stücken entschieden habe, derzeit so wenig Freude bereitet, tut mir weh. "Was du gerade spürst, ist Schmerz", wie Kai das mal zu M. sagte, und wie M. mir das weitererzählte, und wie wir beide den Kopf schüttelten darüber, hunderttausend Jahre ist das her, heute fiel es mir wieder ein. Was du gerade spürst, ist Schmerz. So auf einer Skala, von eins bis zehn?, wie ich, ebenfalls vor hunderttausend Jahren, mal S. aus dem Bundeswehrkrankenhaus abholte, wo eine Ärztin der Notaufnahme sie gebeten hatte, die Intensität ihrer Schmerzen entsprechend einzuordnen, sieben, hatte S. gesagt und sich sogleich gefragt, ob das zu hoch oder zu niedrig war, ob sie nun ernst genommen und schnell an die Reihe kommen würde oder die Ärztin im Gegenteil denken würde, sieben, das geht ja noch. Es war am Ende nichts festgestellt worden. Ich würde jetzt mal sagen: Drei. Keine heftigen Beschwerden. Nichts, womit man irgendwo vorstellig werden müsste. Etwas, das von alleine wieder weggeht, oder mit dem man, wenn es bleibt, leben kann.

Donnerstag, 23. März 2023

Auf dem Kinderbauernhof brennt ein Feuer

Auf dem Kinderbauernhof brennt ein Feuer, ein Lagerfeuer, niemand bewacht es, es brennt einfach. Der Rauch weht über das Gelände. Hier in der Nähe habe ich früher mal gewohnt. Im Park immer noch die Dealer. In meiner alten Straße jetzt ein Café mit Donuts für 3,20 das Stück. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. An der Bushaltestelle ein Mann mit Hund, der in keinen der drei unmittelbar aufeinander folgenden Busse einsteigt, stattdessen weiter auf sein Tier einredet, das hin und her springt. Es fährt hier nur eine Linie, aber da die Strecke bald zu Ende ist, ballt es sich manchmal. Drei Busse auf einmal und dann wieder eine halbe Stunde warten, zumindest das war früher schon ganz genauso. Es tröpfelt, es macht mir nichts aus. In meinem Rucksack ohnehin ein Regenschirm, ein Snack, etwas zu trinken, ich bin mittlerweile, wie ich neulich zu M. sagte, immer auf alles vorbereitet. Auf jede Eventualität, sagte M., und zog das Ä lang. Exakt, sagte ich.

Mittwoch, 22. März 2023

Ich habe ein Foto mitgebracht

Ich habe ein Foto mitgebracht, es ist dasselbe Foto wie auf meinem Personalausweis, dasselbe Foto, das ich für meine neue Gesundheitskarte eingereicht habe; der Gedanke, dieses Foto nun auch in meinem neuen Reisepass zu haben, hat mich auf eine Weise froh gemacht, wie einen (oder vielleicht auch nur mich) solche Dinge im Alltag froh machen können: einmal zum Fotografen, dreimal Verwendung für das Ergebnis, Erfolg. "Aber das Foto können wir nicht nehmen", sagt die Sachbearbeiterin, die mit einem Blick auf das Ausstellungsdatum meines Personalausweises erkannt hat, dass das Foto älter ist als ein Jahr. Ein Jahr und einen Monat nur, aber eben: "Es darf nicht älter sein als ein Jahr." Ich muss noch mal zum Fotografen gehen, die Sachbearbeiterin erklärt mir, wo. Über die Straße, an der Apotheke vorbei, noch zwei Häuser weiter. "Jetzt du", sagt der Fotograf zu mir. Er und sein Kollege wirken müde, wer weiß, wie viele Kund*innen ihnen täglich von den Sachbearbeiter*innen des Bürgeramts rübergeschickt werden; langweilige biometrische Fotos am Fließband, wo man doch auch Hochzeiten fotografieren könnte, Familien, Babys. Für all das hängt Werbung im Laden. Der Fotograf macht zwei Fotos, zeigt mir das zweite, ich sage: "Okay." Er druckt es mir einmal groß und achtmal klein aus, dabei brauche ich es nur einmal, ein einziges Mal, ich wüsste nicht, wer in der nächsten Zeit noch ein Passfoto von mir brauchen könnte, vor allem nicht eins, wo ich so entnervt aussehe. Ich zahle zehn Euro und gehe zurück zur Sachbearbeiterin, darf gleich zu ihr durch, Platz 9. Zahle sechzig Euro für den neuen Reisepass, danke, Wiedersehen. Bitte bestätigen Sie, dass Sie ein Mensch sind, mir fällt die Phrase wieder ein, die Aufforderung, die beim Buchungsprozess des Termins plötzlich aufploppte.

Montag, 20. März 2023

Mein Knie tut weh

Mein Knie tut weh, ich hinke, eine Frau kommt mir entgegen, ihr Arm in einer Schlinge, einem roten Tuch. Da im Hauseingang schläft noch wer, die Post im Karstadt am Hermannplatz hat zugemacht, "ich warne vor der Unterführung", sagt ein Mann, der uns aus der Unterführung entgegenkommt, in der U-Bahn diesmal kein Musikant. Läden mit schönen Dingen; schön anzusehen jedenfalls, gingen sie in meinen Besitz über, würden sie mich unmittelbar deprimieren. Am Ufer der Spree die Erinnerung an diverse von mir absolvierte Rundfahrten mit Stern und Kreis, damals, als ich noch eine freie Frau war, sage ich. Der Wind weht kühler als gedacht, wir brauchen unsere Mützen. Ich gebe die Koordinaten durch, da das Brandenburger Tor, da der Alexanderplatz. Die Friedrichstraße runter, die jetzt teils für den Autoverkehr gesperrt ist, Gehen auf der Straße, was uns fehlt, ist das Innenstadtgefühl. Wieder in die U-Bahn, wieder kein Musikant. Gedränge beim Aussteigen, "komm zu mir auf die Rolltreppe", sage ich, wir stehen nebeneinander, niemand kommt an uns vorbei.

Sonntag, 19. März 2023

Wenn man im Vorbeigehen

Wenn man im Vorbeigehen sich selbst in der Fensterscheibe des Drogeriemarkts gespiegelt sieht, unvermittelt, und sich denkt: Ach, so sehe ich also aus. Aber nein, auch so sieht man nicht aus. Nicht wie im Badezimmerspiegel, morgens beim Schminken. Nicht wie auf den biometrischen Fotos für den neuen Pass. Nicht wie auf den Selfies, entstanden am ersten frühlingshaften Tag des Jahres. Und schon gar nicht wie in der Fensterscheibe des Drogeriemarkts.

Freitag, 17. März 2023

Wie U. mal

Wie U. mal zu D. und mir meinte, wenn sie demnächst verreise, brauche sie jemanden, der nach ihrer Katze schaue, ein-, zweimal am Tag vorbeigehe, um ihr Futter zu geben und sie ein wenig zu streicheln; wie U. dabei etwas hoffnungsvoll mehr in D.s Richtung schaute als in meine, weil D. in ihrer Nähe wohnte und ich in einem ganz anderen Teil der Stadt; und wie D. dann sagte, noch bevor U. überhaupt fragen konnte, er werde das nicht tun, nein; er sagte nicht einmal, es tue ihm leid, er sagte einfach so klipp und klar, nein, er könne eine solche Aufgabe auf gar keinen Fall übernehmen, dass U., ohne wirklich vorgerudert zu sein, sofort wieder zurückruderte und sagte, natürlich, klar, das verstehe sie gut. Ich weiß gar nicht mehr, was ich sagte, wahrscheinlich so etwas in der Art wie, ich sei kein Katzenmensch, aber U. könne mich ja noch mal fragen, wenn sie sonst niemanden finde. Dieses Nein von D., so offensiv, so ohne jede Begründung, wie mich das beeindruckt hat.

Donnerstag, 16. März 2023

Wie P. mal meinte

Wie P. mal meinte, er habe das Gefühl, bei Regen weniger nass zu werden, wenn er läuft statt wenn er Fahrrad fährt, weswegen er, wenn es regnete, immer abstieg, um das Fahrrad zu schieben.

Dienstag, 14. März 2023

Auf dem Gehweg

Auf dem Gehweg überholt mich eine Frau eiligen Schrittes, biegt vor mir in eine Hauseinfahrt ein, wendet sich abrupt um, mit einer Bewegung, dass ich denke, es geht um mich, sie will etwas von mir, mir etwas sagen, mich anfahren, warum auch immer, ihre hektische Art lässt mich das denken, die auch etwas Aggressives hat. Aber als ich die Frau ansehe, hat sie die Augen geschlossen, hält ihr Gesicht in die Sonne, hält inne. Mit einem Lächeln mit geschlossenen Lippen, dafür hat sie sich dermaßen beeilt, um sich nun in Ruhe von der Sonne bescheinen zu lassen, so lange, wie sie draußen ist, ein paar Minuten, später wird es Schneeregen geben, was ist das denn, werde ich sagen, zu niemand anderem als zu mir selbst, und mit nasser Jacke heimkehren.

Montag, 13. März 2023

Der Handwerker erzählt

Der Handwerker erzählt, er habe die Miete zweimal überwiesen. Er mache das per App, die habe ihm aber eine Fehlermeldung angezeigt, da habe er die Überweisung eben wiederholt. Statt zuerst auf dem Konto nachzusehen, ob das Geld schon abgegangen sei. Er habe dann bei der Hausverwaltung angerufen, sagt der Handwerker. Er steht in meinem Bad und spricht in sein Handy, ich räume in der Wohnung herum und höre ihm zu. Es habe bei der Hausverwaltung genau eine Mitarbeiterin gegeben, die für ihn und sein Anliegen zuständig gewesen sei, und die sei gerade nicht am Platz gewesen. Wo sie denn wäre, habe er gefragt. Wahrscheinlich zu Tisch. Dann würde er in einer halben bis dreiviertel Stunde noch einmal anrufen, länger dauere ihre Pause doch sicherlich nicht. Als er aber später wieder angerufen habe, sei sie schon nach Hause gegangen. Wie das denn sein könne, habe er gefragt. Da habe man ihm dann etwas von Gleitzeit erzählt. Na jedenfalls. Als er schließlich mit ihr gesprochen habe, an einem der nächsten Tage, habe sie ihm gesagt, er müsse die Rücküberweisung noch einmal schriftlich anfordern. Per Mail am besten. Aber Sie haben doch meine Kontodaten, habe er gesagt. Sie haben doch alles vorliegen. Ja, aber. Es ginge nicht anders. Bitte noch einmal schriftlich. Am besten per Mail. Na jedenfalls. Wo er gerade sei? Der Handwerker nennt meine Adresse. Hier gebe es wohl immer wieder dasselbe Problem mit der Gastherme. Er nennt ein paar technische Details. Kurz darauf, der Handwerker hat aufgelegt, seine Sachen zusammengepackt und steht schon wieder im Hausflur, nennt er sie mir auch noch einmal. Ich will sie mir merken, denn ich müsste mit dem Vermieter endlich einmal darüber sprechen, dass es hier immer wieder dasselbe Problem mit der Gastherme gibt. Aber kaum habe ich den Handwerker verabschiedet und die Tür geschlossen, könnte ich keins der Details mehr wiederholen.